Kreisen,kreisen,kreisen
Dieses Umkreisen. Das sagte einer, der goldene Ringe schmiedet. Nur die beiden Worte: dieses Umkreisen.
In der Werkstatt des Goldschmieds liegen Ringe in allen Farben. Hunderte, in hundert Farbnuancen. Ringe, die Frauen sich über die Finger streifen, um schöner zu sein, um sich zu schmücken. Auch Männer. Oder um überhaupt wer zu sein. Eine wertvolle Person. Das Gold umkreist den Finger. Die Gedanken des Goldschmieds umkreisen den Ring. Die Idee des Rings. Des Umkreisens. Der geschlossenen Form.Er hatte angefangen, die wertvollen Steine durch Glas zu ersetzen. Edelsteine aus Scherben begannen seine Ringe zu zieren. Schmuck, sagt er, interessiere ihn nicht. Nur: Dieses Umkreisen. Und obwohl es immer das erklärte Ziel gewesen war, mit seinen Händen den perfekten Ring zu erschaffen, den „Ring der Ringe“ – darin glich er den manischen Figuren aus den Erzählungen E.T.A. Hoffmanns – so resultierte sein jahrzehntelanges Feilen und Forschen und den Ring neu denken und erfinden schließlich darin, dass er im eigentlichen Sinne unperfekte Ringe schuf. Ringe, in denen eine Lücke klafft. Offene Ringe. Sich öffnende Kreise. Erst musste aufgebrochen werden, was nie geschlossen sein soll. Und in der Lücke saß, wie eine abstrakte Blüte, eine sorgfältig geschliffene Scherbe aus buntem Glas.
Aus: Sela Miller "Rose fährt Rennrad", Müry Salzmann Verlag, 2017, S. 254